Die Welt ist doch ungerecht.
Wir arbeiten hier in diesem schönen Land den einen Tag ein und den anderen Tag aus. Meist unter grauem Himmel oder mit Regen. Oder es schneit. Oder der Schnee ist tagsdrauf getaut und es liegt der graue Matsch auf den Straßen. Damit das nicht so auffällt, arbeiten wir eben um so länger in unseren Bürotürmen und scheffeln Geld für Dinge, die uns bei Laune halten. Zeit für Essen bleibt kaum. Eine Currywurst oder einen veganen Lamacun hatten wir schließlich gestern schon. Es reicht also Filterkaffee und hin und wieder mal ein Apfel. Oder ein paar Kekse. Oder ein Salat aus der Supermarktfrischetheke.
Damit wir nicht fett und faul werden, machen wir nach dem Feierabend zusammen mit den anderen Fetten und Faulen nochmal ordentlich Sport in einem dem Büro angeschlossenen Laufbandstudio. Fett-weg im Dauermarsch und Seilspringen gegen fehlende Kondition. Nur am Wochenende trauen wir uns nach draußen, vielleicht in den Wald, um dann den ein oder anderen Kilometer in unserer Jogging App zu tracken.
Wir sind eben fleißige Deutsche und wissen, wie man ordentlich arbeitet. Das war schon immer so. Auch schon beim Opa und auch schon viel früher. Ein guter Deutscher muss gut arbeiten, damit es zu was bringt. Zwar ging es heute keine Mistgabeln und keine maschinenlosen Fließbänder mehr, aber dennoch haben wir dieses Mantra noch tief in unseren Köpfen.
Schließlich gibt es nur für den Fleißigsten am Wochenende auch mal ein Stück durchgebratenes Kotelette oder ein Stück Schweinenacken vom Elektrogrill. Wir wissen halt wie das geht mit der guten Ernährung und der Wertschätzung von unserem Körper, der stetig im Einklang ist mit sich selbst und der Natur und der Arbeit und dem guten Essen.
Vor lauter hochkonzentrierten Griesgrämigkeit können wir unsere Ausrufe und Körperbewegungen kaum bremsen, wenn dann doch mal Mitte Mai die ersten Sonnenstrahlen herauskommen. Schnell wird die Krankmeldung beantragt und sich mit dem Liegestuhl bei 12 Grad in die Sonne gelegt. Egal wo. Ob auf Balkonien oder auf der Verkehrsinsel. Hauptsache Sonnetanken.
So fällt das Leben doch auch gleich viel leichter und man steht gerne hupend im Stau oder schwitzend in der Bahn. Hauptsache die ersten wärmenden Sonnenstrahlen treffen das Gesicht. T-Shirt Wetter bei 19 Grad. Oh ja, das können wir gut.
Aber Obacht! Bald kommt der August und mit ihm der heißeste Sommer des Jahrhundert. 40 Grad sind keine Seltenheit und wir fluchen, dass die Klimaanlage in unserem 8qm großen Großbüro schon wieder ausgefallen ist. Jedes Jahr das selbe…
Dass es auch anders geht, mögen wir kaum zu glauben. Zu tief sitzt der Schmerz und die Depression, wenn wir an das gute deutsche Wetter in den letzten Jahren denken. Um im Winter mal in den Süden zu fliegen, machen wir da eh nicht und wenn, dann nur All-Inkel und mit allen anderen, die wir aus der Heimat schon kennen. Na Prost Mahlzeit.
Aber so weit muss es ja nicht kommen und so weit weg müssen wir dann auch nicht reisen. Schließlich zeigen uns unsere französischen Nachbarn schon die ganze Zeit über den ausgestreckten Finger und lachen über uns. Was die Deutschen da schon wieder machen. Tztztz … Quelle blamage! (Und selbst das ist deutsch und somit falsch.)
Also traut euch doch einmal über die Grenze und fahrt wir ein paar Meter. Die Sonne wird scheinen, das versprochen wir euch.
Genau das haben wir nämlich getan. Wir sind mit Sack und Pack in den Süden gereist und haben unsere Zelte in Toulouse wieder aufgeschlagen. Das sollten wir eigentlich öfters machen. Es lohnt sich. Und zwar das ganze Jahr über.
Während die Kollegen zuhause schuften und frieren, wird hier das Leben genossen. Es ist quasi immer Sommer und das Essen … Freunde, das Essen ist eine Wucht! Wenn ihr tatsächlich noch niemals in Frankreich gewesen seid, dann lasst es euch gesagt sein: Kommt einmal her und esst. Esst den ganzen Tag. Morgens, Mittags, Abends. Vorspeise, Zwischengang, Nachtisch, Nachnachtisch, Dessert. Ihr werdet es lieben, so wir es lieben. Dieses Land ist so nah und doch so unendlich unterschiedlich.
Der deutsche Gaumen, vom Schweinebraten verschandelt, findet hier die Offenbarung und Glückseligkeit, die er verdient.
Nirgends sonst auf der Welt wird Essen dermaßen ins Leben integriert, dass man gar nicht darüber sprechen braucht. Gutes Essen ist Leben und gehört wie die Luft zum Atmen dazu.
Hier wird gelebt, hier wir gegessen, das Leben genossen und erst dann irgendwann einmal darüber nachgedacht, was man morgen auf der Arbeit als nächstes tut. Fantastisch!
Aber der Toulousianer kann auch anders. Hier wird nicht nur im Stuhl gesessen und einen Teller nach dem anderen verputzt, sondern auch - wie überall auf der Welt - sich durch die Straßen der Städte bewegt. Am liebsten mit dem Moto. Nicht mit dem Auto. Wozu auch?
Wenn eine ganze Nation also einspurig unterwegs ist, dann wurde das Mobiltitätskonzept ordentlich verstanden.
Roller, groß und klein. Mopeds, Motorräder, alt und jung. Und Überraschung: Hauptsächlich vom Zustand her 1 mit Sternchen.
Es ist fast ungeheuerlich mit welcher Aufopferung und mit welcher Begeisterung hier die wildesten und ältesten Mopeten mit fachkundiger Hand wieder frisch aufgebaut und glänzend poliert werden. Es gilt schließlich erkannt und bestaunt zu werden.
Und als wir mit gezückter Kamera um ein paar besonders wunderbare Exemplare schlichen, meinte doch ein vorbeigehender Passant, dass das doch nur ein Motorrad sei und warum wir denn auf dem Boden liegend Fotos davon machen würden. Unverständlicher kann man dieser wunderbaren Nation nicht gegenübertreten. Aber auch hier wieder. Das Motorrad, genau wie das Essen, gehört zum Leben dazu. Hier gibt es keine Kompromisse.